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Bundestag beschließt Änderungen zu COVID-Sonderregelungen zur Durchführung von (virtuellen) Hauptversammlungen

Am 17. Dezember 2020 hat der Bundestag über neue COVID-Sonderregelungen bei der Durchführung von (virtuellen) Hauptversammlungen Beschluss gefasst. Das Gesetz sieht wesentliche Neuerungen bei der Durchführung virtueller Hauptversammlungen im kommenden Jahr vor.


Hintergrund
Durch das sog. Gesetz zur Änderung über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie vom 27. März 2020 („COVID-19-Gesetz“) hatte der Gesetzgeber Regelungen zur Durchführung virtueller Hauptversammlung und der Möglichkeit der Inanspruchnahme verkürzter Einberufungsfristen eingeführt. Dieses Gesetz, welches zunächst bis Ende 2020 befristet war, wurde zwischenzeitlich im Oktober 2020 bis Ende 2021 verlängert. Nunmehr hat der Gesetzgeber jedoch kleinere Anpassungen bei den Modalitäten zur Durchführung virtueller Hauptversammlungen vorgenommen, die als Reaktion auf die Kritik von Aktionärsschützern verstanden werden können. Die Änderung des COVID-19-Gesetzes ist – neben weiteren Änderungen von Wirtschaftsgesetzen – im Zuge der Beschlussfassung über ein Gesetz zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens erfolgt. Nachfolgend werden die Änderungen für den Ablauf virtueller Hauptversammlungen in 2021 dargestellt.


„Fragerecht“ statt „Fragemöglichkeit“
Die bislang vorgesehene Fragemöglichkeit wurde durch die jetzige Gesetzesänderung in ein „Fragerecht“ des Aktionärs aufgewertet und damit an den üblichen Sprachgebrauch des Aktiengesetzes angeglichen (§ 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 COVID-19-Gesetz). Die bisherige Verwendung des Wortes „Fragemöglichkeit“ implizierte, dass kein Recht auf Antwort bestand. Durch die Änderung wird diese Fragemöglichkeit – infolge einer ebenfalls vorgesehenen Reduzierung des Vorstandsermessens (s.u.) zu einem Fragerecht fortentwickelt.


Änderung des Vorstandsermessens bei Fragen
Bislang sieht § 1 Abs. 2 Satz 2 COVID-19-Gesetz vor, dass es im pflichtgemäßen, freien Ermessen des Vorstands steht, (1) „Ob“ er auf Fragen der Aktionäre antwortet und (2) „Wie“ er dies tut. Künftig ist dieses Ermessen auf das „Wie“ der Beantwortung reduziert, sodass die Fragen grundsätzlich zu beantworten sind. Hierdurch werde auch der Tatsache Rechnung getragen, dass die Unternehmen in den in 2020 abgehaltenen Hauptversammlungen die gestellten Fragen im Regelfall auch tatsächlich beantwortet haben. Dennoch stehe das Fragerecht nach der Gesetzesbegründung nach wie vor nicht dem in § 131 AktG geregelten Auskunftsrecht gleich, da weiterhin ein Ermessen des Vorstands insoweit besteht, als dass er Fragen und deren Beantwortung zusammenfassen kann, wenn ihm dies sinnvoll erscheint. Damit werde zum einen die Rechtsposition der Aktionäre gestärkt und zum anderen die Handhabbarkeit des Fragerechts für die Unternehmen in der Pandemiesituation weiterhin gewährleistet. Daraus ergibt sich allerdings unmittelbar die Frage, ob im Rahmen des Auskunftsrechts nach § 131 AktG Fragen nicht zusammen gefasst werden dürfen. Das ist nach bisheriger Rechtsprechung und Praxis zulässig. Daran sollte sich nichts ändern.


Verlängerung der Frist zum Fragerecht
Bedeutsam ist weiter, dass die Frist zur Einreichung von Aktionärsfragen im Vorfeld von Hauptversammlungen künftig verlängert wird. Regelfall soll nach der Formulierung des Gesetzgebers noch die Beantwortung von in/während der Hauptversammlung gestellten Fragen sein. Der Vorstand kann jedoch entscheiden, dass Fragen bis „spätestens einen Tag vor der Hauptversammlung“ im Wege elektronischer Kommunikation einzureichen sind. Bislang lag die Frist bei „spätestens zwei Tagen“, sodass Aktionären künftig mehr Zeit zur Einreichung von Fragen und Gesellschaften entsprechend weniger Vorbereitungszeit auf (kritische) Fragen von Aktionären bleibt. Nicht geklärt wurde hingegen die Frage, ob der Tag der Hauptversammlung bei der Berechnung der Frist mitzurechnen ist, was in der Vergangenheit uneinheitlich behandelt wurde. Um etwaige Anfechtungsklagen dahingehend zu vermeiden und eine möglichst aktionärsfreundliche Handhabung zu erreichen, ist Gesellschaften weiterhin zu raten bei der Begrenzung des Fragerechts den Tag der Hauptversammlung nicht mitzurechnen.


Fiktion im Rahmen von Antragsstellungen und Wahlvorschlägen von Aktionären
Bislang war in Teilen unklar, wie mit Anträgen und Wahlvorschlägen von Aktionären im Rahmen virtueller Hauptversammlungen umzugehen ist. Der Gesetzgeber stellt nunmehr klar, dass Anträge oder Wahlvorschläge von Aktionären in der virtuellen Hauptversammlung so zu behandeln sind, als würden sie in dieser (nochmals) gestellt. Mit der Änderung wird eine von vielen Unternehmen in den Hauptversammlungen des Jahres 2020 praktizierte Vorgehensweise in die gesetzliche Regelung übernommen, die häufig als „Fiktionslösung“ bezeichnet wird. Sie trägt der Tatsache Rechnung, dass eine – nach allgemeiner Meinung erforderliche – (nochmalige) Antragstellung „in“ der Versammlung nicht möglich ist, wenn den elektronisch teilnehmenden Aktionären (§ 118 Abs. 1 Satz 2 AktG) kein Antragsrecht gewährt wird oder den Aktionären, wie bei den Hauptversammlungen in 2020 weit überwiegend praktiziert, die einzuräumende Stimmrechtsausübung lediglich im Wege der Briefwahl ermöglicht wird. Damit diese Fiktion zum Tragen kommen kann, ist allerdings zu verlangen, dass der betroffene Aktionär ordnungsgemäß, also unter Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen, seine Berechtigung nachgewiesen und sich zu der Versammlung angemeldet hat, da diese auch die Voraussetzungen dafür wären, dass er in der Versammlung einen Antrag stellen könnte. Auch durch diese Änderung würden die Aktionärsrechte gestärkt, ohne dass den Unternehmen die Abhaltung der virtuellen Hauptversammlung erschwert werde.


Fazit
Kurz vor Beginn der neuen Hauptversammlungssaison im Januar 2021 hat der Gesetzgeber nochmals wichtige Änderungen zu den Modalitäten virtueller Hauptversammlungen getroffen. Hierdurch werden die Aktionärsrechte vor allem in Bezug auf das Fragerecht sowie das Stellen von Anträgen im Vergleich zur Hauptversammlungssaison 2020 verstärkt. Gesellschaften sollten vor diesem Hintergrund möglichst frühzeitig mit der Planung ihrer Hauptversammlungen beginnen.
 

Dr. Thorsten Kuthe, Dr. Gero Lingen


Verlag C.F. Müller vom 22.12.2020

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